Predigt zur Jahreslosung 2020
Liebe Gemeinde,
ein Lehrer am Besselgymnasium Minden, wo ich zur Schule ging, hat uns damals einmal scherzhaft erklärt, was Kunst ist:
Kunst kommt von Können! Käme es von Wollen, hieße es nicht Kunst, sondern Wulst.
Der Glaube ist eine Kunst – und kein „Wulst“! In der Geschichte, der unsere Jahreslosung entnommen ist, geht es um das Verhältnis von Können und Glauben. Ein Mann mit einem Sohn, der offenbar epileptische Anfälle hatte, kommt zu Jesus :
„Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Jesus aber sprach zu ihm: „Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. “ Sogleich schrie der Vater des Kindes: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Markusevangelium 9,(22-)24
„Wenn du kannst…“: So spricht der Unglaube, das mangelnde Vertrauen. Mit der Antwort: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt!“ geht Jesus direkt darauf ein. Man könnte auch übersetzen: „Alles kann, wer glaubt!“ Jesus beweist es, indem er den Sohn heilt.
Alles können: Wie soll so etwas gehen? Hier kommt die Kunst ins Spiel: Es hängt entscheidend daran, wem und was wir glauben. Es liegt also nicht an unserer Willenskraft. Glaube ist kein „Wulst“. Es liegt schlicht und ergreifend daran, wer Gott ist, was er will und tut. Heißt also: Man muss wissen, wer der ist, an den man glaubt. Unglaube ist mangelnde Gotteserkenntnis. Der Mann in unserer Geschichte wusste nicht wirklich, wer Jesus war und wer Gott ist, in dessen Namen er handelte.
Die Kunst des Glaubens besteht also genau darin: Gott zu kennen. Jemand hat einmal gesagt: Wir brauchen nicht einen großen Glauben an Gott – das wäre „Wulst“ -, sondern einen einfachen Glauben an den großen Gott. Nicht nur intellektuell, im Kopf – sondern existentiell, mit dem Herzen. Das bedeutet persönliche Erfahrungen mit Jesus und Gott zu machen.
Aufgrund seiner Auslegung der Psalmen hat Martin Luther das, was einen Theologen ausmacht, das heißt, was uns zu wahrer Erkenntnis Gottes bringt, mit drei lateinischen Worten so zusammen gefasst: oratio – meditatio – tentatio. Das sind Gebet, also die persönliche Beziehung zu Gott, die Meditation, also das Nachdenken über Gott und sein Wort und zuletzt die Anfechtung, also die Bewährung des Glaubens unter den zumeist widrigen Bedingungen der Wirklichkeit. Dass der Glaube sich bewährt, das ist die Zusage, die Jesus gibt: „Alles ist möglich dem, der da glaubt.“
Aus dem Nachdenken des Wortes Gottes, dem Gebet und der Anfechtung erwächst der Glaube. Viele Menschen denken: „Der Glaube beginnt da, wo das Wissen aufhört. Was man nicht mehr wissen kann, das muss man einfach glauben.“ Nichts kann falscher sein: Glaube ist ein tiefes, erfahrungsgetränktes Wissen, vielfach erprobtes Vertrauen.
Ein Mensch, der diesen Glauben in besonderer Weise gelebt hat, war Georg Müller im 19. Jahrhundert. Er war deutscher Herkunft, hat in Halle studiert, lebte aber die meiste Zeit in England und baute dort nach dem Vorbild der Franckeschen Anstalten in Bristol Waisenhäuser. Er erbat alles, was er dazu nötig hatte, immer von Gott und nie von Menschen.
In seinen späteren Jahren machte Georg Müller, der Waisenvater von Bristol, mit seiner zweiten Ehefrau weite Reisen, um das Wort Gottes zu verkündigen. Als er mit einem Schiff von England nach Kanada fuhr, kam der Dampfer wegen der schweren See nur langsam voran. Als schließlich ein dichter Nebel aufkam, stieg die Sorge in ihm auf, dass er nicht pünktlich zu seinem Vortrag kommen würde. Er sprach daraufhin den Kapitän an.
Der Kapitän meinte, dass das angesichts des Nebels unmöglich sei, zu der von Müller angegebenen Zeit in Kanada zu sein. Müller meinte, dass er so einen Termin noch nie versäumt habe, und schlug dem Kapitän vor, in einer Kajüte dafür zu beten, dass der Nebel sich auflöse. Der Kapitän meinte, dass der Nebel sich niemals auflösen würde; dennoch gingen sie zusammen in eine Kajüte und schlossen die Tür. Müller breitete vertrauensvoll seine Bitte vor dem himmlischen Vater aus. Als er sein Gebet beendet hatte, sagte er sinngemäß zum Kapitän: „Beten Sie besser nicht. Erstens glauben Sie ja sowieso nicht, dass Gott erhören wird, und zweitens ist es auch gar nicht mehr nötig. Wollen wir nicht mal zusammen schauen, was der Nebel macht?“
Sie gingen heraus – der Nebel war weg! „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte der Kapitän erstaunt und führte fortan ein verändertes Leben in erkennbarer Gottesfurcht.
Gerrit Setzer bei www.bibelstudium.de
Glauben ist eine Kunst, die jeder Mensch erlernen kann, indem er sich auf Gott und sein Wort einlässt. Und es nie zu spät dazu. Amen.